The Place Promised in Our Early Days (2024)

(„Kumo no muko, yakusoku no basho“ directed byMakoto Shinkai, 2004)

Nachdem wir letzte Woche einen Ausflug auf den in mehrfacher Hinsicht phantastischen Planeten gewagt haben, kehren wir im zweiten Teil unseres Animationsspecials wieder auf die Erde zurück. Gewissermaßen. Dass Japan ganz gerne mal die Geschichte umschreibt ist bekannt, sei es im wahren Leben oder auch in der Popkultur. Jin-Roh etwa ließ die Deutschen doch noch den Zweiten Weltkrieg gewinnen und Japan besetzen, das so in den 50ern so zu einem Polizeistaat wurde. Und in der Kult-Videospielreihe „Sakura Taisen“ steuern Frauen riesige, dampfbetriebene Kampfroboter durch das Tokio der 20er Jahre.

Im Vergleich dazu ist The Place Promised in Our Early Days richtig aktuell, schließlich lagen die 90er – in der Zeit spielt der Anime – bei der Veröffentlichung des Films 2004 nur ein paar Jahre zurück. Aber schon damals war das bekannte Japan nicht wiederzuerkennen. Während die südlichen Inseln, also auch die Hauptinsel, unter amerikanischer Verwaltung sind, wurde die nördlichste von einer nicht näher erklärten Union besetzt. Was die Menschen dort treiben, weiß außerhalb niemand so genau, sehen kann man es bei schönem Wetter aber bis nach Tokio – ein seltsamer Turm erhebt sich auf Ezo bis zum Himmel, so der neue Name für Hokkaido.

Eben dieser Turm ist es, der die Neugierde und Sehnsucht der drei Schüler Hiroki, Takuya und Sayuriweckt. Einen Sommer lang träumen sie davon, ein altes Flugzeug zu reparieren und gemeinsam dorthin zu fliegen. Doch als es endlich so weit ist, verschwindet Sayuriplötzlich. Und damit auch der Plan. Erst als sich Hiroki und Takuya Jahre später wieder begegnen und ein Krieg mit der Union immer näher kommt, fassen sie den Beschluss, ihr Vorhaben doch noch in die Tat umzusetzen.

Quo vadis, Anime? Nachdem die großen japanischen Zeichentrickpioniere der 80er und 90er wie Katsuhiro Ôtomo (Akira), Mamoru Oshii (Ghost in the Shell), Hideaki Anno (Neon Genesis Evangelion) oder Rintarô(Robotic Angel) in der Versenkung verschwunden sind bzw. im Fall der Studio-Ghibli-Granden Hayao Miyazaki und Isao Takahata kurz vor der Rente stehen, stellt sich schon die Frage, wer diese Regisseure denn nun beerben soll. Zwei Namen werden da immer wieder gerne genannt: Mamoru Hosoda und eben auch Makoto Shinkai.

Für Aufsehen sorgte Shinkai mit seinem 25-minütigen Kurzfilm The Voices of a Distant Star, den der Japaner komplett allein erstellt hatte. Groß war daher die Neugierde, wie denn sein Langfilmdebüt The Place Promised in Our Early Days ausfallen würde. Zumindest thematisch bewegte er sich nicht zu weit weg, auch hier kombiniert er Science Fiction und gefühlsbetontes Drama miteinander, und das so sehr, dass man nicht einmal genau sagen kann, welchem der beiden Genres man den Film zuordnen sollte.

Für Puristen ist das ein Problem, denn durch die Gleichstellung geht er zwangsweise bei beidem nicht so sehr in die Tiefe. Vor allem Sci-Fi-Fans könnten am Ende sehr frustriert sein, denn an Erklärungen hat Shinkai so gar kein Interesse. Nicht nur, dass er keine Hintergründe zu der Teilung liefert, nicht einmal sagt, wer diese Union denn ist, er führt zudem viele fantastische Elemente ein, ohne näher auf sie einzugehen. Parallelwelten, der Austausch von Materie, eine träumende Erde – hier gibt es viele interessante Ansätze, mit denen wir aber völlig alleingelassen werden.

Enttäuschend? Ja, sicher. Kritikwürdig? Vielleicht auch das. Gleichzeitig ist es aber bemerkenswert, wie viele ungewöhnliche Ideen Shinkai einfach so aus dem Ärmel schüttelt, ganz nebenbei, beim Vorbeigehen, ohne hier stehenzubleiben. Was bei anderen der Mittelpunkt der Geschichte gewesen wäre, sind bei ihm selbstverständliche Begleitumstände. Auch die realhistorischen Anspielungen – die Zweiteilung spiegelt den Zustand von Nachbarland Korea wieder, der Name Ezo greift auf eine kurze Periode 1868/69 zurück, als sich Hokkaido tatsächlich von Japan lossagte – sind wohl weniger gesellschaftlich relevante Aussagen als vielmehr reine Inspirationsquelle.

Ob man jetzt so weit gehen muss, The Place Promised in Our Early Days als reinen Liebesfilm mit ungewöhnlicher Kulisse zu bezeichnen, darüber lässt sich wie so oft streiten. Unstrittig ist, dass Gefühle eine große Rolle spielen und Shinkai viel Zeit für seine Charaktere und ihr Verhältnis zueinander reserviert. An manchen Stellen neigt er dabei etwas zum Melodramatischen, größtenteils ist seine Dreiecksgeschichte um die beiden Jungen und ihre Mitschülerin aber ebenso zurückhaltend wie das Kriegsdrumherum und erzählt einfühlsam von ersten Lieben und dem Erwachsenwerden.

Für ein richtiges Meisterwerk reicht das nicht und als Ghibli-Erben muss man Shinkai sicher auch (noch) nicht bezeichnen. Einen schönen Einstand hat der Regisseur aber allemal abgeliefert, inhaltlich wie optisch. Ganz so fotorealistisch wie sein neuester Film The Garden of Words ist The Place Promised in Our Early Days nicht, ein Auge für Details zeigte er aber auch hier schon. Die Sommerlandschaften der ersten Hälfte erinnern in ihrer unschuldigen Nostalgie tatsächlich an die leiseren Filme von Miyazaki und Co., Spielereien mit Licht, Schatten und Reflexionen sorgen für lebendige Tupfer. Und wenn der Anime später auf seinen Höhepunkt zusteuert, dürfen wir auch düsterere, leicht surreale Traumbilder genießen.

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Romanze? Coming of Age? Science Fiction? Eine eindeutige Genreeinteilung war Makoto Shinkai bei The Place Promised in Our Early Days offensichtlich egal. Viele seiner ungewöhnlichen Ideen hätten noch stärker ausgearbeitet werden dürfen, die interessanten Elemente und die schönen Bilder machen den Anime aber zu einem vielversprechenden Langfilmdebüt.

7

von 10

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